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Glück und Kalorienaufnahme
»Fuge« heißt ein neues »Journal für Religion und Moderne«

von Alexander Kissler

Süddeutsche Zeitung
vom 26. Oktober 2007 (Nr. 247), S.16

»Ist aller Anfang schwer oder wohnt ihm stets ein Zauber inne? Nimmt man die ersten Gehversuche eines »Journals für Religion und Moderne«  namens »Fuge«  zum Maßstab, dann lautet die Antwort: Der Zauber liegt gerade im Schweren, im Nebeneinander von Weisheit und Wagemut, Fehlschlag und Gedankenblitz. So und nicht anders gefällt es den Herausgebern. Sie wollen jene »Versprengten«  sammeln, denen es absolut ernst ist mit ihrem »Bestreben, das Phänomen des Religiösen zu verstehen zu wollen« (Verlag Ferdinand Schöningh, 12,90 Euro, erscheint halbjährlich).
Deren aber gibt es nicht viele. Zyniker und Apologeten dominieren den Markt, treffen sich in der Fraglosigkeit ihrer konträren Haltung. Die einen nehmen den Glauben nicht ernst, die anderen haben längst alles verstanden. Als dritte Partei böte sich die empirische Forschung an, doch gerade dieser stellt der Soziologe und Theologe James Sweeney (London/Cambridge) im gewichtigsten Beitrag ein verheerendes Zeugnis aus. Zwar vertrete die Religionssoziologie nicht mehr die unhaltbar gewordene Theorie von einer notwendig fortschreitenden Säkularisierung. Schwer aber tue man sich, ein zukunftsfähiges Korrelat zu finden. Den Grund ortet Sweeney im »methodogischen Atheismus« der Soziologie. Selbst Kind der Moderne, habe die Wissenschaft »vorausgesetzt«, dass eine religiöse Sicht der Realität illusionär ist.« Nun aber müsse sie eine Kehrtwende vollziehen und ihre Methoden und ihre Voraussetzungen substantiell ändern. Sweeney ruft zu einem radikalen Bildersturm auf: »Man sollte versuchen, sich religiösen Beschreibungen des menschlichen Lebens und der menschlichen Gesellschaft mit ihren eigenen Begriffen zu nähern. Sie sollten keinesfalls restlos in anthropologische oder soziologische Begriffe übersetzt werden.«
Einer herkulischen Aufgabe hat sich James Sweeney verschrieben. Er will den Trend der Soziologie hin zur vergleichenden Kulturanthropologie stoppen, will die Empiriker überzeugen, dass ihre selbstgewählte Blindheit gegenüber der religiösen Innenperspektive Erkenntnis erschwert. In der Tat wäre ein solches »Bündnis zwischen Religion und Religionssoziologie« ein kühnes Unterfangen. Beide Seiten müssten Abschied nehmen von liebgewonnenen Dualismen.

Abgeschmackte Ratgeber

Nicht ganz so herkulisch ist das Anliegen der Herausgeber Martin Knechtges und Jörg Schenuit, beide Mitarbeiter der Katholischen Akademie in Berlin. Auch sie aber werden einen langen Atem brauchen, wollen sie tatsächlich mit »klarem Blick« der »bürgerlichen Öffentlichkeit« widerstehen. Deren modisches Interesse an Religion und Pseudoreligion fürchten sie eher. Einerseits zwar hat diese Konjunkur den Gründungsimpuls geliefert, andererseits wittert man in der Umarmung des Glaubens ein großes Missverständnis. »Abgeschmackte Ratgeberliteratur« verdunkle die eigentliche Aufgabe des Christentums: »falsche Heilsversprechen zu entmythisieren und mit den seriösen Deutungen des Lebens in geistigen Austausch zu treten.«
Erfreulicherweise wird dieser Austausch nicht auf den oft unendlich ermüdenden theologischen Mainstream beschränkt. Hier darf etwa der Drehbuchautor Jürgen Büscher (»Comedian Harmonists«) gegen den Tugendterror der Französischen Revolution und die »Pathologien der Aufklärung« vom Leder ziehen. Dergleichen Polemik wider den »atheistischen Scheuklappenblick« ist nicht unbedingt originell, in einem Debüt aber am Platze. Hans-Joachim Sander hingegen, Theologe aus Salzburg, kämpft in seinem Beitrag zur »Matrix religiöser Gewalt« ebenso mit der Sprache wie mir der Historie. »Nichts macht Macht einfallsloser als Arroganz« ist ein Satz, der schönsten Stilblütensammlung würdig, und mit Leo XIII. die innerkirchlichen Antimodernismus-Debatte beginnen zu lassen, heißt über Gregor XVI., Pius IX. und Leo XII. hinwegsehen.
Gehaltvoller ist der programmatische Aufsatz von Raimon Panikkar über das »westliche Dilemma«. Der spanische Religionsphilosoph fordert einen »transkulturellen Ansatz«, um die typisch westliche Dichotomie von Politik und Religion zu überwinden. So wie der Mensch nicht zwei Naturen besitze, könne auch diese Zweiteilung nicht Bestand haben. Religion nämlich sei »in hohem Maße politisch, und die Politik ist hauptsächlich eine religiöse Sache. Eine Politik, die mehr als Technokratie sein will, muss in ihre Berechnung aufnehmen, dass das Glück des Menschen nicht unbedingt eine Sache der Kalorienaufnahme ist«. Da hat Panikkar heute so recht wie 1978, als er seine Überlegungen niederschrieb.
Dem neuen Journal wünscht man noch viele Tage - und den Mut, sich kopfüber ins Heute zu stürzen und die postsäkulare Welt auch da in den Blick zu nehmen, wo es schrill zugeht und laut.«